Kurzer Bericht über das Gnadenbild Unserer Lieben Frau von Absam in Tirol
Als am 17. Jänner 1797 die achtzehnjährige Rosina Bucher in der Stube im Parterre ihres väterlichen Hauses am Tische, der neben dem Fenster stand, nähte und die Sonne zwischen 3 und 4 Uhr an das Fenster schien, sah sie plötzlich dieses Bild, das sie vorher nie gesehen hatte, und rief voll Verwunderung aus: "Mutter, Mutter, was sehe ich am Fenster! Ein Mutter-Gottes-Bild!" Alle Anwesenden sahen dasselbe auch und wunderten sich sehr, befürchteten aber zugleich, es möchte diese Erscheinung ein Unglück bedeuten, welches dem Vater und dem Sohne, die im Salzberge arbeiteten, widerfahren sei. Diese jedoch kamen nach wenigen Tagen gesund zurück und bewunderten mit Freuden das in ihrem Hause erschienene Mutter-Gottes-Bild.
"Dieses besteht nur im Haupte, welches ein zweifacher Schleier einhüllt. Um dasselbe ist ein Heiligenschein sichtbar. Das Haupt neigt sich mehr nach der rechten Seite. Das Bild gleicht einem Kupferstich, weist also keine Farben auf. Beim Anfühlen erfährt man nicht, ob das Dunkle, das heißt die Schattierung, rauher sei als das helle Glas. Viele sagten, in diesem Bilde sei entworfen Mater amabilis (die liebenswürdige Mutter), andere Mater dolorosa (die schmerzhafte Mutter) und wieder andere: Unsere Liebe Frau von Landshut, und so gab es verschiedene Meinungen." So der amtliche Bericht, der von den Tränen, die man jetzt im rechten Auge deutlich sieht, nichts erwähnt.
Das Bild zeigte sich im ersten Stubenfenster, das nur von innen geöffnet werden kann, und zwar nicht im ganzen Fenster, sondern im vierten Teil der oberen Hälfte des einen Flügels, welche aus viereckigen Scheiben besteht. Dieser vierte Teil ist zirka 7 Zoll lang und nicht ganz 5 Zoll breit. Zugleich wird von allen bezeugt, daß dieses Fenster vor 12 Jahren gemacht wurde, während welcher Zeit niemand bemerkt hat, daß jemand darauf etwas gezeichnet hätte, auch noch, daß weder früher noch später irgendeine Zeichnung beobachtet worden wäre. Dieses Bild ist immer sichtbar geblieben, bei Tag und bei Nacht, gleichviel ob das Zimer kalt oder geheizt, leer oder mit Menschen angefüllt war. Noch auffallender ist, daß das Glas, auf dem das Bild sich zeigte, nachdem es zu beiden Seiten mit einem nassen Schwamm oder Tüchlein abgewaschen worden war, ganz rein und klar, wie eben gekauftes Glas aussah. Kurz darauf jedoch zeigte sich in der Mitte desselben ein trübes Fleckchen (wie ein Wölkchen am hellen Himmel), welches sich rasch ausbreitete, so daß allen das vorige Bild wieder vollkommen vor Augen stand. Dieses Verschwinden beim Abwaschen des Glases und Wiedererscheinen des Bildes beim Trocknen des Glases wiederholte sich, als nach der Hausfamilie und auf deren Antrieb verschiedene geistliche Herren dasselbe abwuschen, um zu sehen, wie es sich mit diesem Bilde verhalte.
Von allen umliegenden Orten kamen nun so viele Leute jeden Geschlechtes, Alters und Standes, besonders am 23. und 24. Jänner, zumeist aber am 25. Jänner, daß der bereffende Fensterflügel auf öffentlichem Platze dem frommneugierigen Volke gezeigt werden mußte. Alsdann wurde es eingepackt und mit drei Siegeln verschlossen an den Herrn Dechant in Innsbruck gesendet. Es wurde nun sogleich eine Kommission eingesetzt und die geistlichen und weltlichen Herren gingen sehr kritisch zu Werke, damit ja kein Mißbrauch mit dem Bild getrieben werde, welches durch viele Kanzleien wandern mußte.
Am 24. März 1797 gab der Dechant von Innsbruck der Ehegattin des Johann Bucher auf dringliches Bitten das Glasbild wieder zurück. Sobald dieses in Absam bekannt geworden war, erschienen sogleich die Leute des Dorfes und forderten, daß das Bild zur öffentlichen Verehrung in die Pfarrkirche übertragen werde. Ohne lange zu fragen, trugen die Leute das Gnadenbild unter dem Geläute aller Glocken prozessionsweise in die Pfarrkirche mit den Worten: "Wo der Sohn ist, da muß auch die Mutter sein!"
So berichtet die älteste Urkunde über das Gnadenbild, welche nach damaligem Sprachgebrauch geschrieben wurde. Trotz des Argwohnes seitens der weltlichen Behörden und der Vorsicht der geistlichen Obrigkeit hat sich die hehre Himmelskönigin in ihrem Gnadenbilde zu Absam einen Thron aufgeschlagen, wo sie jährlich von Tausenden angerufen und verehrt wird und das Vertrauen frommer Wallfahrer oft ganz auffallend belohnt. Vor dem Gnadenbilde brennen vom frühen Morgen bis zum späten Abend Kerzen und beleuchten das dunkle Glasbild, das bei eintretender Dunkelheit besser ersichtlich ist als bei hellem Tage.
Verlag Anton Haider, Absam
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