Fortsetzung von Teil 2:
Bevor wir in unserem Bericht fortfahren, wollen wir uns Antwort auf die Frage geben, warum Maria wohl verlangte, daß die Kranke nach Locherboden kommen solle. Hatten die Vewandten wirklich so unrecht, wenn sie sagten, die Gottesmutter könne sie doch auch in Rum oder Absam heilen?
Zunächst verlangte die Gottesmutter von Maria Kalb ein großes Vertrauen, ein Vertrauen, das sich nicht nur in Worten ausdrücken sollte, sondern durch eine Tat, die menschlich gesprochen unvernünftig war - eine Schwerkranke von Rum nach Locheroden bringen! Aber anders hilft Maria nicht. Sie verlangt einfach dieses Vertrauen von jenen, denen sie helfen will. Maria Kalb hatte dieses Vertrauen vom Tag der Erscheinung an, wenn es auch noch einer Steigerung fähig war, bis es ihr keine Ruhe mehr ließ, bevor sie nicht die Wallfahrt unternommen hätte. Aber allein konnte sie ja nicht gehen. Sie brauchte die Hilfe anderer Menschen, von denen ein ähnliches Vertrauen verlangt wurde, obwohl sie keine Erscheinung gehabt hatten. Vom Bruder Johann wird berichtet, daß er eigens eine Wallfahrt nach Absam machte, um zur Klarheit zu gelangen, und daß er von dort mit dem Entschluß heimkehrte, die Fahrt mit der Schwester zu wagen. Ebenso rangen sich die Mutter und der Ortsgeistliche zu dem demütigen Vertrauen durch, daß sie die Fahrt befürworteten. Dieses Vertrauen war die Voraussetzung für die Hilfe, die Maria der Kranken gewähren wollte, und war selbst schon geschenkte Gnade.
Aber warum gerade Locherboden?
Gott kann uns überall finden und kann uns auf allen Wegen begegnen. An welchem Ort und zu welcher Stunde er uns aber seine Gnade schenkt und unser Heil wirkt, das können nicht wir Menschen Ihm vorschreiben, sondern das bestimmt Er selbst, wir aber müssen uns in Demut unter seinen Ratschluß beugen. So ist der Sohn Gottes an einem ganz bestimmten Ort, nämlich zu Bethlehem, und zu einer ganz bestimmten Zeit, nämlich unter der Regierungszeit des Kaisers Augustus, als Mensch geboren worden und ist auf Golgotha unter dem Hohenpriester Kaiphas, dem König Herodes und dem römischen Landpfleger Pontius Pilatus gekreuzigt worden. Die Wahrheit läßt Gott uns künden durch seine Kirche; seine Gnade hat er weitgehend geknüpft an die Sakramente, an das Wasser bei der Taufe, an das Öl bei der Firmung und Krankensalbung, an Brot und Wein bei der Eucharistie. Oft gewährt er seine Gnade auf die Fürsprache seiner Heiligen, besonders Marias. Und auch Maria ist bei der Hilfe, die sie den Menschen gewährt, an den Ratschluß Gottes gebunden. So war es Gottes Wille, daß Maria genau im Jahre 1854 in dem kleinen Ort Lourdes im südlichsten Frankreich einem einfachen Mädchen erschien; daß die Krankenheilungen vornehmlich durch das Wasser jener Quelle geschehen sollten, die damals entsprang und bis heute fließt. Mochten die Menschen sich wundern, daß Bernadette auf die Weisung der Gottesmutter hin mit ihren Fingern nach Wasser grub, wo gar kein Wasser war; mochten sie lachen und Bernadette für übergeschnappt halten - setzen wir ruhig dieses unschöne Wort hierher -, als sie sich mit dem feuchten Schlamm, den ihre Finger ausgegraben hatten, das Gesicht "wusch", so daß sie nachher aussah wie ein Mohr - genau an dieser Stelle sollte eben die Quelle entspringen, die zuerst einem blinden Kind und dann vielen anderen Kranken Heilung gebracht hat. So wollte die Gottesmutter die Maria Kalb nicht in Rum und nicht in Absam, sondern auf dem Locherboden gesund machen, ausgerechnet an diesem unbekannten, unzugänglichen Ort. Diesen Akt demütiger Unterwerfung unter Gottes Willen verlangte Maria von der Kranken und ihren Verwandten, so daß sie wirkich unter großen Opfern bereit waren, sich an jenen Ort zu begeben, wo ihnen Maria nach Gottes Ratschluß Hilfe schenken sollte.
Denn Gott hatte neben der Heilung der Maria Kalb auch noch andere Absichten, von denen die Kranke und ihre Verwandten nicht wußten, nichts zu wissen brauchten. Uns aber sind nach 100 Jahren diese anderen Absichten Gottes viel klarer - auf die inneren Zusammenhänge zwischen Locherboden und den übrigen großen Muttergotteserscheinungen der letzten 100 Jahre kommen wir am Schluß noch zu sprechen. Es sollte für das Tiroler Volk eine neue Gnadenstätte erstehen, wo es Trost und Hilfe in den schweren Zeiten finden sollte, denen es entgegenging, und wenn erst ganz Tirol zu einem einzigen Fremdenverkehrtsort geworden wäre, sollte noch ein stilles Plätzchen übrig sein, wo es keine Hotels und keinen Badestrand gäbe, sondern wo ein Kirchlein mit einem Turm, der sich vor den gewaltigen Bergen wie ein Spielzeug ausnimmt, die vielen Fremden, welche die Züge jeden Tag das Inntal hinauf- und hinunterbringen, nach oben weist; ein Kirchlein, das die Fremden nicht wegen seiner Kunstschätze aufsuchen, sondern zu dem Einheimische und Gäste pilgern wegen eines Gnadenbildes jener, die gleichzeitig die Mutter Gottes und der Menschen ist. Gott hat seine eigenen Gedanken und Pläne, die immer Gedanken und Pläne der Liebe sind und denen sich jene unterwerfen müssen, die Gott als Werkzeuge für die Verwirklichung seiner Absichten ausersehen hat, auch wenn sie diese Absichten nicht verstehen oder gar nicht um sie wissen. Darum mußte also Maria Kalb nach Locherboden pilgern, obwohl ihr diese Fahrt, menschlich gesprochen, hätte den Tod bringen müssen.
Fortsetzung folgt.
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